Vaida Alisauskaite, Litauen | Webmobix

Text Fabiana Seitz, Fotos Jenny Milow

„Ich habe diesen einen Traum. Diesen Traum, dass ich eines Tages eine coole, codierende Oma bin. Mit 80 Jahren mit einem Laptop auf dem Sofa sitze und mir die Zeit mit Codierungen vertreibe. Wäre doch lustig, oder?
Doch jetzt bin ich noch jung, jetzt brauche ich noch kein ruhiges, geordnetes Leben. Ich will etwas erleben und bewegen. Nur zu codieren wäre mir viel zu langweilig.

Ich war eine gute Schülerin. Besonders Englisch und Physik hatten es mir angetan, weshalb ich auch ein Studium in dieser Richtung anstrebte. Als ich dies jedoch meinem Informatik-Lehrer erzählte, schaute er mich entgeistert an. Sein Kommentar: Studiere besser IT, da hast du Englisch und Physik, plus noch einen tollen Job mit Zukunftsperspektiven. Zum Glück überzeugte er mich. Und so bewarb ich mich für das Informatik-Studium.

Das Studium war anspruchsvoll. Einige Menschen verstanden nicht, weshalb ich als Frau überhaupt Informatik studieren wollte. Doch ich blieb meiner Entscheidung treu. Nach meinem Masterabschluss arbeitete ich in meiner Heimat Litauen. Ich wollte aber nicht acht Stunden am Tag codieren. Mein damaliger Chef liess klar durchblicken, dass dies nun mal meine Aufgabe sei. Da wurde mir klar, dass ich es bin, die mein Schicksal in die Hand nehmen muss. So kündete ich und gründete meine erste eigene IT-Firma. Ich war 27 Jahre alt und wusste, dass ich selbst entscheiden will, was und wofür ich arbeiten möchte.

Es war noch im selben Jahr als ich mein Land verliess. Es zog mich in die Welt hinaus. Ich reiste viel herum, arbeitete für internationale Projekte. Ich lebte eine Zeit lang in Deutschland und Holland, bevor ich vor fünf Jahren in die Schweiz kam.

Meine jetzige Firma in der Schweiz Webmobix gründete ich 2016 zusammen mit einem Co-Founder. Capacity war beim Aufbau und bei der Positionierung unseres
Start-ups, welches Web-, Mobil- und Cloud-Entwicklung anbietet, eine grosse
Unterstützung. Heute stehe ich auf der anderen Seite und gebe selbst Workshops für Capacity-TeilnehmerInnen.

Natürlich ist es manchmal nicht einfach mein eigener Boss zu sein, aber die Freiheit, die meine Firma mir bietet, liegt mir sehr am Herzen. Ich habe mir selbst eine Stelle geschaffen und kann mit spannenden Unternehmen und inspirierenden Menschen zusammenarbeiten. Ausserdem habe ich keinen festen Arbeitsplatz und kann frei bestimmen, von wo aus ich arbeiten möchte. Als mein Vater in Litauen einen Schlaganfall hatte, war für mich klar, dass ich ihn beim Genesungsprozess begleiten möchte. Das wäre mit einer Festanstellung schwierig gewesen. Vor kurzem konnte ich meinen Eltern sogar ein Häuschen mit Garten auf dem Land kaufen. Das bedeutet mir sehr viel.

Ob ich selbst jemals nach Litauen zurückkehre, weiss ich noch nicht. Falls ja, werde
ich wohl bereits eine alte Dame sein. Alt und bereit, nur noch auf dem Sofa codieren zu wollen.“

November 2020

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